Es ist schon eine Weile her, dass ich an einer Demonstration teilgenommen habe – das letzte Mal zu Beginn des Krieges in der Ukraine. Damals hatte ich mir vorgenommen, öfter zu demonstrieren, aber bis zur nächsten Demo vergingen fast zwei Jahre. Dafür gab es am 28.01.2024 gleich zwei an einem Tag. Zunächst eine in Moers, meinem aktuellen Wohnort und später in Wermelskirchen, meiner ersten Heimatstadt.









Die Demo in Moers übertraf alle Erwartungen, als sich ein Zug von 4000 bis 5000 Menschen formierte, laut WDR sogar 8000. Der Nachmittag im viel kleineren Wermelskirchen bot mit 1200 bis 3000 Teilnehmern ein ähnlich beeindruckendes Bild. Menschen aller Altersgruppen, auffallend viele Familien mit selbst gestalteten Schildern und kreativen Slogans. Einige Demonstranten hatten sogar mehrere Schilder mitgebracht, um sie in der Menge zu verteilen.

Ein Spruch stimmte mich nachdenklich: „Jetzt können wir endlich herausfinden, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten.“ Sind wir wirklich so weit? Und wenn ja, reicht es, zu demonstrieren? Was erreicht man über die Selbstvergewisserung hinaus, dass diejenigen, die für Menschenrechte und Demokratie eintreten, noch in der Mehrheit sind?
Die Anhänger und Sympathisanten der AfD erreicht man jedenfalls nicht. Am Rande der Demonstration traf ich einen Mann, der Aufkleber und Flyer des Vereins „Aufstehen gegen Rassismus“ verteilte. Er diskutierte mit einem AfD-Anhänger. Das kurze Gespräch endete mit den Abschiedsworten: „Ich wähle die!“.
Mit gemischten Gefühlen fuhr ich nach Hause – beeindruckt von der Menschenmenge, aber auch mit der Sorge, dass das alles nur ein Strohfeuer sein könnte.
Der Witz bei der wehrhaften Demokratie ist ja gerade eine Repräsentationslücke für verfassungsfeindliche Ideen
Ulf Buermeyer
Im Podcast „Lage der Nation“, den ich auf dem Heimweg hörte, wurde diskutiert, dass Proteste ein gemeinsames Ziel brauchen, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Vorgeschlagen wurde die Forderung nach einem Verbot der AfD. Dieser Gedanke schien mir bisher immer zu weit zu gehen. Immerhin wären dann laut Umfragen rund 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht mehr vertreten. Mich überzeugte jedoch das Argument von Ulf Buermeyer: „Der Witz bei der wehrhaften Demokratie ist ja gerade eine Repräsentationslücke für verfassungsfeindliche Ideen.“
Die Demonstrationen sind meiner Meinung nach auch ein wichtiges Signal an die Konservativen. Ich habe Fahnen und Schilder von Parteien, Vereinen und Organisationen gesehen, von der SPD über „Willkommen in Wermelskirchen“ bis zum AJZ Bahndamm. Was ich allerdings vermisst habe, waren CDU-Fahnen. Die Konservativen sind jetzt erst recht gefordert ein deutliches Zeichen zu setzen. Immerhin waren bei dem von Correctiv aufgedeckten Treffen von Rechten und Neonazis nicht nur AfD-Vertreter anwesend, sondern auch CDU-Mitglieder.
Meine Hoffnung ist, dass die bundesweiten Demonstrationen mit ihren Hunderttausenden Teilnehmern der CDU deutlich machen, dass die Mitte der Gesellschaft nicht mit einem Rechtsruck zu gewinnen ist.
Ich wünsche mir, dass die Demonstrationen noch lange anhalten. Viel zu lange mussten wir montags die Demos der Rechten und Hetzer über uns ergehen lassen. Vielleicht könnte man den Montagsdemos einen „Demokratie-Dienstag“ entgegensetzen. Neben Demonstrationen könnte man zum Beispiel Veranstaltungen zum Thema Demokratie anbieten. Themen gäbe es genug. Was bedeutet zum Beispiel wehrhafte Demokratie konkret? Wie kann man demokratische Institutionen vor Autokraten schützen? Wo funktionieren demokratische Prozesse nicht mehr richtig und wie können sie verbessert werden? Welche partizipativen Entscheidungsformen gibt es eigentlich? Welchen Einfluss haben (soziale) Medien auf Meinungsbildungsprozesse? Was verändern Digitalisierung und KI? Welchen Einfluss hat der demographische Wandel?
In Bürgerpanels, zu denen Bürgerinnen und Bürger nach dem Zufallsprinzip eingeladen werden, könnten diese Fragen diskutiert und Empfehlungen zur Stärkung der Demokratie erarbeitet werden. Ein solches überparteiliches Gremium könnte der Demokratiekrise eine positive Vision entgegensetzen und am Ende vielleicht sogar den einen oder anderen AfDler überzeugen.